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Am Herzschlag der Welt
Schüsse zerfetzten die Stille und Dunkelheit der Nacht. Das Geräusch weckte die Angst, weckte die Panik, raubte den Atem. Ein ganzes Heer sammelte sich auf den Schlossmauern. Die Waffen auf die Schultern gestützt, blickten sie hinab. In den dunklen Gassen zwischen den teils turmhohen Häusern sah man die Schatten von Soldaten. Ihre Schießeisen warfen zuckende Funken in rot und gold in die Finsternis und verrieten, dass es sich bei der verwendeten Munition nicht um die üblichen Schock-Bolzen handelte. Das Feuer ging nur mit dem Tod und wurde über der Erde ungern gesehen.
Mit blinden Augen schossen die Männer in den Himmel, der ausgerechnet heute Mond- und sternenlos war. Auf Befehl des Königs waren die Maschinen angehalten und der Energiefluss unterbrochen worden. Wie matte Spiegel glänzten die Leitungsstränge im Dunkeln, ein verästelter Fluss versiegender Kraft, der sich durch die ganze Stadt zog. Man hatte dem Feind die Sicht nehmen wollen, hatte ihm jedoch auch die perfekte Tarnung geschenkt, als das blau-weiße Pulsieren erloschen war und die Menschen in Angst und Schrecken zurück ließ.
Wieder hallten Schüsse, diesmal aus der Nähe der Sümpfe, jenem Teil der Stadt, den kein ehrbarer Bürger betrat.
Bis zum Morgengrauen standen die Soldaten auf den Mauern, ohne sich zu regen. Erst das Grau der frühen Sonnenstrahlen enthüllte einen leeren Himmel und eine verschreckte Stadt. Hatte man auf ein Phantom geschossen?
Als die Soldaten ihre nächtlichen Posten verließen, müde, durchgefroren und ratlos, kehrten auch die Jäger aus der Stadt zu den Baracken zurück. Erschöpft, wütend und gefangen in Ahnungslosigkeit, konnte keiner dem Anderen erklären, was genau geschehen war. Man hatte jeden Winkel der Stadt durchsucht, ohne zu wissen wonach, und auf jeden Schemen geschossen, der sich am Himmel gezeigt hatte.
Langsam wagten sich die Menschen wieder aus ihren Häusern.
Unter der Erde jedoch hielt die Stille weiterhin an. Die Angst blieb, stechend gelbe, geschlitzte Augen durchbrachen leuchtend die Schwärze, die mit dem Stopp der Maschinen einher ging. Zwar erklang kein Geräusch, trotzdem führten die Besitzer jener Augen wild durcheinander die verschiedensten, hastigen Gespräche, so voller Schrecken und so wirr, dass man bald sein eigenes Denken nicht mehr verstand. Als schließlich doch eine Stimme erklang, zuckten alle Anwesenden zusammen. „Aktiviert die Maschinen wieder“, erklang es bellend aus dem Lautsprecher. War da ein hauch von Erschöpfung in dieser Menschenstimme gewesen?
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Ingwer und Zitronengras
Blaue Blitze zuckten durch die Glasfronten des Supermarktes, ein hektisches Blinzeln, ausgesandt von den Dächern der gestreiften Autos auf dem Parkplatz davor. Männer und Frauen in dunklen Uniformen gingen mit bedächtiger Eile ihren Aufgaben nach. Ihre Blicke huschten verstohlen über ihre Umgebung und ihre Finger zuckten bei der kleinsten, unerwarteten Bewegung zu ihren Holstern. Ihre Versuche, sich nichts anmerken zu lassen, scheiterten teils ziemlich kläglich. Sie wurden beobachtet.
Der Leichenwagen wurde auf die Rückseite des Gebäudes gerufen, obwohl der Transport durch den Vordereingang schneller hätte von Statten gehen können, und vier Beamte standen, mit angespannten Schultern und reichlich hilflos, unter einem Baum nahe der Parkfläche. Immer wieder warfen sie Blicke hinauf in die Zweige, schienen aber nie lange hinsehe zu können. Als einer von ihnen aus dem Augenwinkel bemerkte, wie sich jemand näherte, hatten sie alle die Hände schon an ihren Waffen, bevor sie ihren Vorgesetzten erkannten.
Der bullige Mann mittleren Alters bewegte sich als Einziger ruhig, fast schon gelassen, durch das Chaos. Wer jedoch genauer hinsah, bemerkte, dass seine Augen sich kaum bewegten und seine ohnehin schmalen Lippen zu einem dünnen Strich verkommen waren. Begleitet wurde er von einem jungen Kollegen, einem Mann mit weicher, dunkle Hautfarbe mit kurzen Rastalocken. Er trug einen jener fürchterlichen Papieranzügen, die einem von der Spurensicherung verpasst wurden, wenn man irgendwie in einen Vorfall verwickelt war und damit jegliches Besitzrecht auf alles, was man am Leib trug, verlor.
Police Constable Lester Saul hatte, soweit es um seinen Grad der Verwicklung ging, fast keinen Anspruch mehr auf seine eigene Haut. Als sie den Baum erreicht hatten, neigte der Chief Inspector neben seinen unglücklichen Constables den Kopf, bis sein militärisch kurz geschnittenes, grau meliertes Haar die Muskelberge seines Stiernackens streifte.
„Immer noch nichts?“, brummte er.
„Nein, Sir“, antwortete der ihm am nächsten stehende Beamte, wobei er es jedoch tunlichst vermied ebenfalls den Kopf zu heben.
Es folgte ein weiteres Brummen.
Chief Inspector Barnabas Forge hatte in seiner Zeit bei der Mordkommission schon Vieles gesehen und somit war ihm der Anblick der drei Leichen mitten im Supermarkt auf grausige Weise vertraut gewesen. Mr. Blue war durch einen saubere Kopfschuss gestorben, die Kugel war durch seinen Hinterkopf eingedrungen, hatte beim Austreten die Hälfte des Gesichtes mit sich gerissen und Haut und Knochensplitter über der Gemüseauslage verteilt. Kein schlechter Schachzug, da er, groß gewachsen, gut in Form und in seinen besten Jahren, ein ernst zu nehmender Gegner gewesen wäre. Natürlich die Strategie eines Feiglings, keine Frage. Allein schon beim Gedanken daran schwoll die Verachtung in Forges Brust so stark an, dass ihm schlecht wurde. Aber sein Gegner war ein intelligenter Feigling gewesen.
Mrs. Blue hatte weniger Glück gehabt, falls man in diesem Zusammenhang überhaupt von Glück sprechen konnte. Die Kugel hatte sie von hinten in den Rücken getroffen und gleich mehrere lebenswichtige Organe schwer beschädigt. Sie war nach wenigen Minuten verstorben, das sah man auf den Aufnahmen der Kameras, doch leider hatte sie vom
 
restlichen Geschehen noch genug mitbekommen. Genug, um noch das Grauen des Szenarios zu erfassen, zu wenig, um zu erfahren, dass ihre Tochter, körperlich vollkommen unbeschadet, überlebt hatte.
Forge gab seinen Männern mit einem Kopfnicken das Zeichen sich zu entfernen und er konnte ihre Erleichterung förmlich mit Händen greifen, als sie sich davon machten, um sich schnellstmöglich eine andere Aufgabe zu suchen. Er selbst blickte immer noch nach oben, während Constable Saul neben ihm versuchte sein Zittern zu unterdrücken.
„Ein ziemlicher Schock, was?“, meinte sein Vorgesetzter, ohne den Blick auf ihn zu senken. „In diesen Anzügen ist es ziemlich kalt, Sir“, murmelte Saul, der unverwandt den Baumstamm anstarrte. Forge gab ein freudloses Lachen von sich.
„Nur zu ihrer Information“, entgegnete er gelassen, „Die Albträume werden schlimm. Und egal, was ihnen die Psychodoktoren alles erzählen, nein, es wird nicht besser. Man gewöhnt sich bloß daran“
Saul nickte nur. Was hätte er darauf auch antworten sollen?
Es folgten einige Minuten der Stille, währenddessen Constable Saul ganz offensichtlich mit seinen neuesten Erinnerungen kämpfte und Chief Inspector Forge immer noch grübelnd die obersten Äste des Baumes beobachtete.
Zersprengt hatte es ihn. Er war einfach in die Luft gegangen. Aus allen Nähten geplatzt. Die Aufnahmen der Kameras zeigten das Geschehen aus vier verfluchten Perspektiven und an jeder verdammten Konservendose im nächsten Gang klebte ein Stück von dem Arschloch, dass versucht hatte, die Familie Blue an diesem Abend komplett auszulöschen. Selbst aus Sauls Haaren hatte die Spurensicherung die letzten Stunden jedes Stück ehemaligen Mensch geklaubt, dessen sie habhaft werden konnten, bevor sie dem armen Teufel endlich erlaubt hatten, sich das Blut abwaschen zu gehen.
Schließlich nahm auch Saul all seinen Mut zusammen und hob den Kopf.
„Glauben sie, sie versteht uns?“, fragte er leise und suchte das Blätterdickicht nach einer Bewegung ab.
„Allerdings“, gab Forge zurück und legte die Stirn in tiefe Falten, „Ich würde sogar behaupten sie versteht uns dann am besten, wenn wir uns selbst nicht verstehen“
Kurz senkte er den Kopf, um zu seinem Constable hinüber zu sehen.
„Ergibt irgendetwas davon einen Sinn, Saul?“
„Ich weiß es nicht, Sir“, gab dieser ehrlich zurück.
Dieses Mal war es Forge, der lediglich nickte und dann wieder nach oben sah.
Eisblaue Augen, geweitet vor Panik und ungläubigem Entsetzen, starrten zu ihnen hinab.
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